von Tina Wiegand
Die moderne Weiblichkeit besteht auf ihre Freiheit und das Recht darauf, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht und was nicht. Das ist auch vollkommen richtig. Doch wenn es um das Thema Schwangerschaft und Abtreibung geht, dann scheiden sich die Geister. Ich möchte mich an dieser Stelle gar nicht dazu äußern, welche Meinung ich selbst vertrete. Ich bin selbst Frau und Mutter genug, um zu wissen, wie einschneidend Schwangerschaften das Leben verändern. Was aber unbesehen ist, sind die massiven seelischen Folgen, die sich mittelfristig nach einem Schwangerschaftsabbruch einstellen können. Ich habe mit etlichen Frau gearbeitet, die einen Schwangerschaftsabbruch nicht unbeschadet überstanden haben. Ratio und Ego sehen die Sache mit der Abtreibung völlig anders, als die Seele und im Zweifelsfall sitzt diese am längeren Hebel – unberührt von jeglicher Form des Feminismus.
Die Beschwerden, die sich nach einem Schwangerschaftsabbruch einstellen können, sind mannigfaltig. Sie reichen von psychosomatischen Beschwerden über Hormonschwankungen und Unterleibsschmerzen bis hin zu schweren Depressionen und unüberwindbaren Partnerschaftsproblemen. Oft lassen sich die betroffenen Frauen gar nicht helfen und es wirkt dann so, als ließen sie ihre Beschwerden, in einer Art unbewusster, innerer Übereinkunft, wie eine Bestrafung über sich ergehen. Viele Partnerschaften zerbrechen an einer gegenseitigen Aggression, wenn eine Abtreibung stattgefunden hat und die Freiheit, die eigentlich mit dem Abbruch erreicht werden sollte, führt stattdessen in eine schmerzhafte Einsamkeit. Manche Frauen finden nach einem Schwangerschaftsabbruch nie mehr in eine gute Partnerschaft zurück, lassen schmerzhafte Verbindungen über sich ergehen oder bleiben ganz alleine. Andere versinken in trübsinnigen Zuständen und Depressionen, in denen ein freudvoller Kontakt mit ihnen unmöglich wird oder leiden unter schmerzhaften Symptomen, wie zum Beispiel einer Migräne. Die Symptome lassen sich in der Regel nur lindern, wenn sie als Botschaften der Seele verstanden werden. Die Botschaft ist die unendliche, schmerzhafte Sehnsucht nach dem toten Kind.
Eine Schwangerschaft ist von der ersten Sekunde an weit mehr, als ein körperliche Durchgangszustand. Auch wenn jemand nichts über seine Zeugung weiß, steigen durch eine Rückführungshypnose spontan „Erinnerungen“ und intensive Gefühlszustände auf, die die Zeugungssituation genau wiedergeben. Oft lässt sich zur Überraschung aller Beteiligten bestätigen, dass die Zeugungssituation tatsächlich so stattgefunden hat. Das Kind verfügt von Anfang an über ein Bewusstsein. Dieses Bewusstsein fühlt in vollem Umfang die Angst und die Ablehnung, wenn es getötet werden soll. Es gibt Berichte über Abtreibungen, bei denen sich der Embryo in die letzten Winkel der Gebärmutter verkriecht und dort verstecken will. Dabei ist die Mutter selbst die tödliche Gefahr.
Besonders belastet sind Zwillingsgeschwister, deren Zwilling durch einen Abtreibungsversuch abgegangen ist, während sie selbst überlebt haben. Die Überlebensschuld kann das ganze Leben überschatten. Das Trauma, so wenig erwünscht zu sein, dass man gleich getötet werden soll, ist oft als Muster im Erleben der Betroffenen eingebrannt. Auch die lebenden Geschwister von abgetriebenen Kindern können unter Berührungsängsten leiden, weil in ihren Zellen die Angst vor dem Getötetwerden aktiviert wird, wenn sie „lästig“, also da sind. Im Unbewussten wissen sie um die toten Geschwister. Geht man eine solche Geschwisterkonstellation in einer Familienaufstellung an, wird der enorme Geschwisterschmerz erkennbar. Manche Menschen leiden ein Leben lang unter schweren Symptomen, die durch einen Abtreibungsversuch verursacht wurden, der unerkannt blieb. Aber auch Abgänge, die nicht beabsichtigt waren, werden als schmerzhaft erlebt, wenn sie in ihrer Tragweite nicht bewusst gemacht und bearbeitet werden.
So, wie das Kind vom ersten Moment an fühlt, fühlt auch die Mutter. Es ist, als hätte ihre Seele das Kind „gerufen“. Körperlich ist das Kind eins mit der Mutter, doch seelisch sind es von Anfang an zwei verschiedene Individuen. Eine Schwangerschaft ist wie eine magische Verbindung zweier Lebewesen. Die Mutter ist das Wesen im Diesseits, das das Wesen aus dem Jenseits zu sich ruft. Die beiden Lebewesen, Mutter und Kind, sind Schicksal füreinander und beide für den Vater. Eltern werden an ihrem Kind zu dem, was sie sein können. Diese Planung des Schicksals kann nicht einfach unterbunden werden, denn sie unterliegt Regeln, die menschlichem Zugriff nicht gehorchen. Wird das werdende Leben „amputiert“ so kommt es in der Folge zu „Phantom-Schmerzen“, ähnlich, wie es bei der Amputation eines Körperteils der Fall sein kann. Das Kind gehört vom Moment der Zeugung an dazu und hinterlässt eine schmerzhafte Lücke, wenn es wieder geht.
Um einer Mutter oder gar einem Paar aus diesem Dilemma zu helfen, ist oft eine Traumatherapie oder eine systemische Aufstellung notwendig. Das Kind braucht Anerkennung seines Dagewesen-Seins. Eltern müssen erkennen, wie tief sie die Schuld in Wahrheit fühlen. Auch, wenn ihnen niemand einen Vorwurf macht, ist diese Schuld für seelisch gesunde, fühlende Menschen ein belastender innerer Zustand, der sich nicht wegdiskutieren lässt. Entgegen aller modernen Propagandafeldzüge für die Abtreibung fühlen die Betroffenen in diesem Moment eine völlig andere Wahrheit, ihre ganz persönliche Wahrheit. Auch, wenn die Gesetze Abtreibung aus guten Grund erlauben, die Seele erlebt das Geschehen als Kapitalverbrechen. Damit muss das Paar sich nun auseinandersetzen und erkennen, dass die moderne Sicht der Dinge zu lax mit dem Wert des Lebens umgeht, als dass die Seele das einfach so akzeptieren würde. Der schmerzhafte Prozess dieser Erkenntnis wird das Paar reifen lassen. Mit einem Ritual lässt sich Linderung in dem Sinne erreichen, dass die Verarbeitung des Geschehens möglich wird.
Natürlich können auch kirchliche Rituale, wie zum Beispiel eine Beichte weiterhelfen. Je nachdem, wie religiös man ist, sind vielleicht Schweigeexerzitien oder andere Angebote in einem Kloster oder einer buddhistischen Einrichtung hilfreich. Rituale sind eine Frage der tieferen Resonanz und die Wege, die ein Mensch gehen kann, sind vielfältig. Hauptsache dabei ist, dass sie die Gefühle treffen. Es ist gut, das gereifte Bewusstsein und eine Versöhnung aus dem schweren Irrtum mitzunehmen, den man begangen hat. Auch Wiedergutmachung ist ein besänftigendes Mittel für die Gefühle der Schuld. Alles ist allerdings besser als moralische Verurteilung. Wie unmenschlich und wie wenig weise unsere Gesellschaft wirklich ist, müssen viele auf den verschiedenen Schmerzwegen erst erkennen. Dabei lernen sie hoffentlich, sich ihre Unkenntnis zu verzeihen. Denn es entsprang dem verfehlten Vertrauen in die Überzeugungen einer irregeleiteten und nur scheinbar aufgeklärten modernen Gesellschaft. Selbst der Gerechte irrt sieben Mal am Tag. Doch das, was wir modern nennen, ist ein grundlegender Irrtum, der das Materielle über das Leben stellt. Doch manchmal kann nur Schmerz eine Kurskorrektur erwirken.
Ich widme allen, die den Mut aufbringen, sich ihrer Liebe und dem Wert des Lebens zuzuwenden diesen Song von 1999: „Sabrina“
1 Comment
Danke für diesen ergreifenden Text und die praktischen Tipps zu diesem schweren Thema. Ich werde ihn verbreiten und hoffe, andere tun es auch.