© Tina Wiegand
Kann man eine bessere Kultur erzwingen? Es gibt viele Ansätze, die darauf abzielen, das Betriebsklima in einem Unternehmen zu verbessern. Manche versuchen das mit Ländern, andere sogar mit der ganzen Welt. Die meisten setzen an der „Umerziehung“ der Menschen an, die nicht weltoffen genug sind, für eine Welt, die so viel besser sein könnte. Aber stellen Sie sich bitte für einen Moment vor, dass ein anderer Erwachsener auf Sie zukommt und Ihr Verhalten in Frage stellt. Viele von Ihnen erleben das ja schon täglich. Sie sollen anders essen, anders leben, anders einkaufen, uns mit anderen Menschen umgeben, ein anderes Auto fahren usw. Viele Zwangsbeglücker und Weltretter glauben zu wissen, wie Sie sein müssten, damit die Welt im letzten Moment noch gerettet werden kann. Sollte die Welt also untergehen, sind Sie Schuld. Ganz sicher! Koboldsgesetz! 🙂
Nehmen Sie sich ruhig ein paar Minuten, um sich in die Situation einzufühlen. Was fühlen Sie? Wie reagieren Sie darauf?
Die meisten Menschen reagieren auf die Umerziehungsabsichten anderer mit Widerstand, Empörung, vielleicht sogar Wut oder Verweigerung. Da man als Erwachsener seine Gründe für sein Verhalten hat, ist das auch verständlich. Deswegen müssen alle Ansätze scheitern, die aus dem moralisierenden Eltern-Ich heraus gestartet werden.
Ein Beispiel, mit dem ich die Wirkung von einer weit verbreiteten, aus meiner Sicht aber schwierigen Haltung erklären möchte, ist die Open Society, Thinktank und Berater vieler Regierungen, wahrscheinlich auch Ursache des „Wir schaffen das“ unserer Regierung. Ihr Utopia ist eines, das wir uns wahrscheinlich alle wünschen – zumindest den ersten Part: in Frieden zu leben. Aber beim zweiten Part könnte es schon Dissenz geben: offene Grenzen und unbedingte Weltoffenheit aller Menschen. Hier scheiden sich schon die Geister: in Frieden leben, ja. Aber grenzenlos mit Menschen anderer Herkunft im Austausch sein? Das kann und will nicht jeder. Zumindest nicht sofort auf Knopfdruck, nur, weil ein Thinktank das vorgibt. Über durchlässige Grenzen freuen sich die meisten Menschen. Grenzenlosigkeit hingegen ist nicht gesund, denn wer für alles offen ist, ist nicht mehr ganz dicht. 🙂 Was hier als Scherz gemeint ist, hat einen ernsten Hintergrund. Durch offene Grenzen eintretende Reize bringen ein System zur Entwicklung, aber Überreiztheit führt zu Fieber und Aggression und mitunter zum Exitus oder in den Irrsin. Open Society ist ein Konzept, das vielleicht 10% der Menschheit mittragen können. Der Rest ist völlig überfordert und reagiert entsprechend aufgebracht.
Die Psychosophics sprechen alle mindestens eine oder mehrere Fremdsprachen. So ist auch der Austausch mit Fremden für uns eine Freude. Was aber, wenn das Gegenüber diese Freude nicht teilt, weil man z.B. kein Kopftuch trägt? Wer die Sprache des Herzens spricht, muss in selbigem auch Platz für Leute finden, die eben keine Fremdsprachen sprechen und Fremden vorsichtig begegnen. Vor allem Kulturen aus ländlichen Gegenden sind alles andere als weltoffen. Manche haben Angst vor der Rache von Göttern und Geistern, wenn sie nicht die Tradition achten. Das lila, das rote und das blaue Mem lehnen Veränderung panisch ab (zu meinen Artikel über die Mems und das zugrundeliegende Modell Spiral Dynamics).
Wenn das Gegenüber also keine Weltoffenheit möchte, wäre Verständnis angebracht – und Respekt. Genau hier setzt ein Punkt an, der in vielen geschäftlichen oder gesellschaftpolitischen Fragen heute Probleme aufwirft. Weltoffenheit ist eine Fähigkeit, die durch kulturelles und soziales Kapital der Herkunftssysteme etabliert wird. Wer das nicht von seiner Familie mitbekommt, muss das in langen Prozessen lernen. Aber wenn die Religion das verbietet? Weltoffenheit ist nichts, was man durch Herabwürdigung und Anklage derer, die sie nicht beherrschen, einfordern kann. Eine wunderbare Lösung für dieses Problem stellten bisher die Landesgrenzen dar, innerhalb derer sich größere Gruppen von Menschen auf eine gemeinsame Sicht der Dinge einigten und die anderen draußen blieben. Eine natürlich gewachsene Trennung von sich widersprechenden Werten. Wenn diese natürlichen Grenzen gesprengt werden, dient das ganz sicher einer Sache nicht: einer besseren Welt.
Der Mensch reagiert wie eine Amöbe. Fühlt sie sich sicher, ist ihre Membran durchlässig. Fühlt sie sich angegriffen oder vom Fremden überrannt, schließt sie ihre Grenzen und kapselt sich ab. Da dies eine Schutzreaktion ist, erreicht man sicher keine Öffnung, wenn man sie angreift. Das gleiche gilt für Menschen, Organisationen oder Länder. Wenn jemand „dicht macht“, egal, ob das Landesgrenzen oder seine persönlichen Grenzen sind, dann kann man die Brechstange des Moralismus ansetzen und mit Gewalt die geschlossenen Türen aufbrechen. Aber ist das, was dabei heraus kommt, Weltoffenheit? Wahrscheinlicher ist die angriffslustige Defensive der Bedrängten. Ist der, der die Türe einbricht weltoffen? Eher offen für gewalttätige Grenz-Überschreitung, also nichts anderes als Bereitschaft zur Invasion. Preisfrage: führen durch Invasion geöffnete Grenzen zu einer offenen Gesellschaft? Wohl eher nicht. Vor allem dann nicht, wenn plötzlich alle sich widersprechenden Werte in Meltingpots zum Einheitsbrei gerührt werden sollen, mit der Auflage: Toleranz! Jetzt! Toleranz hat immer etwas mit Duldung zu tun und Duldung beinhaltet Leiden und das Nicht-Wehren gegen etwas, was nicht gut tut. Aufgezwungene Toleranz macht diese Welt nicht besser. Und alles nur, weil Amerikaner sich mit Fremdsprachen schwer tun?
Utopias gibt es so viele, wie es Menschen gibt. So gehört das Wort Diversität nicht zu den verschiedenen Ethnien, sondern zu der Vielfalt der menschlichen Utopien. Das reicht vom Traum von der Menschheitsfamilie bis zum geborgenen Leben im Land der Gartenzwerge. Wer schon mal versucht hat, andere für sein eigenes Utopia zu begeistern, weiß, dass das gar nicht so einfach ist. Würde man Kleingruppen mit der Umsetzung von Utopias beauftragen, käme es zu einem bunten Biotop von Unterschiedlichkeiten. Diversität entsteht da, wo viele verschiedene Menschen ihre Individualität leben. Es ist ein Unding, alle Menschen einer Nationalität über einen Kamm scheren zu wollen und zu behaupten, Multi-Kulti ginge nur in der Diversität unterschiedlicher Herkunft. Nur, wer seine eigene Individualität und seine Grenzen respektiert weiß, kann seine Türe öffnen. Insofern ist jeder Ansatz der Zwangs-Internationalisierung zum Scheitern verurteilt. Wie sich heftigster Widerstand und soziale Unruhe verbreiten, wenn man einem System zuviel zumutet, sehen wir gerade jetzt in der aktuellen Situation. „Wir schaffen das!“ ist ein Reizsatz, der die Massen zum Aufstehen bringt. Aber George Soros wird wohl kaum Verantwortung für den Irrtum in seinem Beratungsansatz übernehmen.
Wenn er alles Geld der Welt verdient hat, dann wünscht sich ein Milliardär vielleicht etwas, was er durch sein materialistisches Leben für immer verspielt hat. Das mag Unsterblichkeit sein, so wie David Rothschild, der sich 8 Herzen transplantieren ließ oder der Wunsch „Endlich Messias“ sein, wie vielleicht George Soros. Doch es gibt Dinge, die man mit Geld eben nicht kaufen kann. Es mag ein Segen für diese Menschen sein, die eigene Grenze zu erleben, denn Grenzen geben auch Halt. Es ist George Soros, aber auch der Welt, die er beeinflusst, zutiefst zu wünschen, dass seine Möglichkeiten eng begrenzt werden. Vielleicht versteht er dann diejenigen, die sich abgrenzen. Seine Grenzenlosigkeit hat der Welt auf alle Fälle nicht gut getan und es ist fraglich, ob wir die wild gewordenen Gäule wieder einfangen können. Doch wo George Soros die linkspopulisitischen Utopisten befeuert, befeurn seine Gegner, die von der Abgrenzungstendenz der überreizten Systeme profitieren, die Rechtspopulisten. Allen voran, bis vor Kurzem Arthur Finckenstein. Zwei gigantomane Amis, die einen noch gigantischeren Informationskrieg in Europa führen. Und die beiden sind nicht die einzigen.
Die einen überwinden ihre Einschränkungen, die anderen nicht, deswegen erleben die einen ihr Utopia und die anderen eben nicht. Das ist eine Grundlage des Lebens und kann nicht mit allem Geld der Welt verändert werden. Jemand, der ein Leben lang nur Geld angehäuft hat, hat wahrscheinlich die Zeit nicht genutzt, um sich selbst von den Grenzen des Egos zu befreien. So mag es sein, dass er die Grenzen der Welt im Außen eliminieren möchte. Auf den letzten Drücker soll „anything goes“ der Welt aufgedrückt werden. Solche grandiosen Ansätze lösen ein heilloses soziales Chaos aus. Das ist ein ähnliches Phänomen, wie das der groß angelegten Changemanagement Prozesse, die ganze Firmen völlig durcheinander bringen und schließlich am emotionalen Widerstand scheitern. „Die sind noch nicht so weit!“ heißt es dann. Aber oft sind die Weltverbesserer diejenigen, die die geringste Veränderungsbereitschaft mitbringen. Um diese Welt zu lieben, so wie sie ist, müssten sie sich verändern. Der Wille eines Milliardärs ist auf das Formen der materiellen Welt im Außen gerichtet. Ein Weiser hingegen weiß, dass er das Utopia im Außen bestenfalls erreicht, wenn er sein inneres Utopia gefunden hat. Viele müssen verlieren, damit Milliardäre kassieren können. Das ist, wie es ist. Das ist Schicksal. Doch gibt es keinen Freispruch von dieser Schuld vor dem eigenen Höheren Selbst. Auch Milliardäre haben ein Höheres Selbst, auch wenn sie nicht darauf gehört haben.