©Tina Wiegand
Sie kennen das: es gibt Zeiten, die laufen einfach nicht. So ging es mir die letzten Tage. Endlich hatte ich Zeit zum Schreiben. Ganze drei Wochen kostbarste Zeit. In einem kleinen Haus mit Sauna, im Naturschutzgebiet. Jeden Tag spazieren gehen mit dem Hund, dann in die Sauna und dann ran an den Laptop. Selbst das Wetter war perfekt: grau und nebelig, nass und kalt – perfekt zum Schreiben. Nicht mal der Hund wollte raus. So stellt man sich optimale Voraussetzungen für eine Autorin vor.
Aber Nö!
Statt dem Sprühen von kreativen Funken wabberte nur ein nebeliges Nix durch mein Hirn. Also versuchte ich, irgendwie Inspirationen zu ergattern.
Ich probierte es mit Twitter. Aber danach war neben dem nebeligen Nix auch noch Ärger in mir, was weit entfernt vom erwünschten Effekt war. Twitter gab mir bestenfalls die Illusion, der Senf den ich dazu gebe, könne verhindern, dass alles den Bach runter geht… So ein Blödsinn! Aber wenn einem sonst so absolut nix einfällt, so gar nichts, wenn die Schreibblockade so sehr quält, dann macht man halt etwas, von dem man meint, dass es einen Unterschied macht. Sich auf Twitter kloppen geht immer. Dieses „links“ gegen „rechts“ Getöse geht mir gerade ziemlich auf den Zeiger. Aber wenn Menschen nicht anders können, als ununterbrochen die Geister der Vergangenheit zu beschwören, dann sind sie eben noch nicht fertig damit. Und wenn jemand mit seinem Herkunftssystem nicht im Einklang ist, dann wird er sich auch nicht durch Diskussionen mit mir von seinem Kampf abbringen lassen. Mir wird ein wenig Angst und bange, denn wenn man Geister zu laut ruft … Dazu hatte schon Goethe mit seinem „Faust“ eine klare Meinung. Aber den kennt heute keiner mehr. Deswegen als Alternative Bill Murray, den kennen mehr Leute. Wollen wir hoffen, dass die Geister unterscheiden können zwischen denen, die sie gerufen, und denen, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wenn nicht, dann haben wir einen Salat, den ich nicht angemacht hab. Nicht die Geister sind das Problem, sondern die, die sie bekämpfen. Die neigen nämlich dazu, wild um sich zu schlagen und auf Geister zu schießen, um dann festzustellen, dass die, die sie getroffen haben, keine Geister waren.
Darüber nachzudenken ist keine Kreativitäts-fördernde Maßnahme. Das kann ich nun mit Sicherheit bestätigen.
Die heutige Karte: Müllseiten
Dann kam der Tipp von Psychosophic Kollegin Barbara: „Zieh doch mal ne Karte!“ Das ist bei den Psychosophics geflügeltes Wort, wenn man sich gerade verrannt hat oder mit einem Problem nicht weiter kommt. Zieh doch mal ne Karte! bedeutet natürlich, eine Lotuskarte zu ziehen. Man mischt die schönen Motivkarten der Lotuszeit, breitet sie vor sich aus, zieht eine Karte und schlägt die Lotuszeit auf. Hier finden sich dann Fragen und Übungen, die in Verbindung mit der Karte stehen. Ich hab mich also nach der Sauna muckelig einpackt, einen leckeren Tee gekocht und mein Kartenset ausgepackt. Zuhause arbeite ich gerne mit den schönen großen Karten der Original Lotuszeit, aber für unterwegs ist die Smart Edition perfekt. Entspannen, ein paar Mal durchatmen und dann das Unbewusste fragen: „na was rätst du mir denn heute?“ Dann die Karte ziehen und wie so oft schmunzeln, weil die Karte wie die Faust aufs Auge passt. Auch diesmal.
Manchmal ist alles so logisch. Die Synchronizität spielte mir die „Müllseiten“ in die Hände. Müllseiten zu schreiben ist das beste, was man im Falle eines „writer’s block“ also einer Schreibblockade machen kann. Man nehme ein Blatt und schreibe all die Gedanken, die Schimpfereien und Nebensächlichkeiten auf, die gerade das Hirn belasten. Man kann mal so richtig vom Leder ziehen und das aufschreiben, was sonst vielleicht eher zurück gehalten wird. Das Ziel ist, alle Negativität zum Ausdruck zu bringen und das Blatt dann im Kamin zu verfeuern – eine Art geistiges Pickel ausdrücken, quasi. Wenn das konsequent erfolgt, fließt die Kreativität bald wieder. Normalerweise. Aber nicht bei mir. Zumindest noch nicht. Was stellte sich dann noch quer?
Wenn man als Angestellter in Urlaub fährt, dann lässt man sein Büro hinter sich. Als Selbstständige ist das nicht so einfach, denn es gibt immer Dinge, die gemacht werden müssen. Typisch für eine Kreative bleibt bei mir gerne der formalistische Verwaltungskram liegen, der nicht zur sofortigen Inhaftierung führt. Aber dieses nicht Erledigte ist auch ein Geist. Ein Geist, der dazu neigt, einem den Blick auf das zu vernebeln, was Spass macht. Bei aller Liebe zur Kreativität: kein kreatives Werk wird seinen Weg in diese Welt finden, wenn nicht der dazu gehörige Verwaltungskram erledigt wird. Deswegen gehört zu jeder Kür die Pflicht, so wie die Nacht zum Tag. Verweigerte Pflicht hängt unvollendet in der Atmosphäre. Da nutzt auch ein entschiedenes „Nö, ich bin im Urlaub und soll mich gefälligst erholen!“ nix. Unvollendete Pflicht ist ein Geist, der piesakt und müffelt und sich weigert, beim Ausziehen in den Kleidern hängenzubleiben. Er lässt sich nicht auswaschen und fließt folglich nicht durch den Abfluss, sondern wabbert bis zur Erledigung im Hirn herum. Nach meinen Müllseiten wurde mir also klar, dass da noch ein paar Erledigungen zu machen waren. Und siehe da: kaum wurde der Geist der Pflicht befriedet, schon lichtete sich der Nebel im Hirn und die ersten Ideen sprangen in mein Bewusstsein.
Bis vorhin hätte ich behauptet, dass mich diese Diskussionen in Twitter eigentlich gar nicht tangieren. Uneigentlich nervt mich das Theater um die Geister der Vergangenheit aber gewaltig. Es ist nunmal ein ungeschriebenes Gesetz der Resonanz, dass man nur dann emotional auf etwas reagiert, wenn es einen selbst betrifft. Bevor ich mich das nächste Mal darüber ärgere, dass andere die Geister provozieren, werde ich mal kurz meine Buchhaltung checken und schauen, ob sich da ein Prokrastinations-Geist herumtreibt.
Aber wo wir schon dabei sind: tausende von Jahren haben unsere Vorfahren das Gesetz des Respekts vor dem Geist der Ahnen. Die modernen Menschen glauben, keinen Respekt zu benötigen. Nicht vor dem Nächsten, nicht vor den Älteren, nicht vor anderen Religionen oder Kulturen, nicht vor den Tieren. Sie würdigen alles herab mit ihrem zuckersüss-rosaroten Mitleid oder ziehen darüber her, als wären sie Herrscher von Gottes Gnaden. Wenn schon Respekt zu viel verlangt ist, brauchen wir von Hochachtung erst gar nicht zu reden und die Bedeutung des Wortes „Demut“ ist ebenso verschütt gegangen, wie die Weisheit, die sich damit verbindet. Geist kann man ja nicht anfassen, also kann er einem auch nicht schaden – meint man. Aber Hochmut kommt vor dem Fall und in Sachen Geist kann man sich täuschen. Moderne, systemischen Therapieverfahren beweisen, dass Respekt vor dem eigenen Herkunftssystem sinnvoll und vernünftig ist, wenn man seelisch gesund bleiben möchte. Es ist der Geist des Menschen, der ihn bewegt, ihn Dinge tun lässt. Niemand weiß, wohin der Geist des Menschen geht, wenn er stirbt. Deswegen wissen wir auch nicht, was geschieht, wenn man Geist den Respekt und die Ruhe verwehrt – geschweige denn, was geschieht, wenn man dem Geist einer ganzen Nation Ruhe und Respekt verwehrt. Letztlich ist es Geist, der uns in den Irrsinn treibt und das sollte man bei aller Überheblichkeit niemals vergessen! Auch nicht, wenn man ein Politiker ist, der glaubt, sich von Materiellem vor den Karren spannen lassen zu dürfen. Es ist wütender Geist, der erwirken kann, dass Köpfe rollen!
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Aber jeder kann den Umgang mit diesem Thema halten wie ein Dachdecker. Ich habe beschlossen Kerzen anzuzünden. Für die Unschuldigen, die ihr Leben gelassen haben. Aber auch für die, die nie beerdigt und, die ungerecht behandelt wurden. Für die, die einfach verschwunden sind. Natürlich für die Künstler, deren Talent im Krieg verschwendet wurde und alle die, deren Bücher und Gedichte nie geschrieben wurden, deren Bilder nicht gemalt wurden, deren Musik nicht komponiert wurde. Für die vielen, hellen, freundlichen, jungen Geister, die in eine Uniform gesteckt und ins Verderben geschickt wurden. Möge ihr Geist zu den Sternen aufsteigen und dort zu den Stars gehören.
Plötzlich zeigen mir meine Tränen, wie sehr mich der Gedanke an die Verschwendung dieser großen Geister trifft. Was ist vor diesem Hintergrund schon Politik oder gar Wirtschaft – geschweige denn Finanzen als Niedrigstes von allem? Nichts als geistloses Geschacher, schnöde und eitel.
Ich wünsche der Menschheitsfamilie Respekt vor dem Tod, vor dem Geistigen und vor dem Künstlerischen – als dringend notwenige Homage an das Leben. Und dann öffne ich meinen Laptop, denn jetzt kann es losgehen.